2006 ORTE & FRAGEN
IMIAD International workshop San Bernardino Okt. 2006
Was meinen wir, wenn wir über einen bestimmten Ort sprechen? Wo und wie entstehen überhaupt Orte? Was ist überhaupt ein Ort? Haben Orte Biografien wie Menschen, werden sie geboren und sterben sie wieder?
Aus dem Kern der Themenenstellung des Workshops SAN BERNARDINO will ich zwei Aspekte herausgreifen und sie näher thematisieren:
- Wo und wie entstehen Orte?
- Wie und wann entstehen Fragen?
ORTE
Orte begegnen einen mit Namen, klangvoll vielversprechend oder nichtsssagend, Orte erscheinen als räumliche Ausdehnungen, bisweilen mit markanten Zeichen durchsetzt.
Darüberhinaus haben Orte aber auch einen mythischen Kern, generieren Geschichte und Geschichten. Ein solcher Kern umschliesst ganz verschiedenartige Teile; oft sind diese unmittelbar sichtbar, sind offenkundig, manifest. Ein Ort ist an einem bestimmten Übergang an einem Flusslauf entstanden oder an einer Quelle. Oder er liegt am Kreuzungspunkt von Verkehrswegen. Motive gibt es viele und die jeweiligen Ortsgeschichten belegen die Hintergründe.
Aber hinter all dem Sichtbaren, Erklärbaren bleibt immer auch etwas Unausgesprochenes, etwas Unsichtbares, etwas Geheimnisvolles. Vielleicht ist es ein Klang, der in einem Namen mitschwingt –schon entsteht aus San Bernardino ein Lied und mithin ein Tor zu etwas anderem. Mit konkreten Orten und deren Schwingungen ist nicht selten auch die Idee von Heimat verbunden oder Momente aus der Kindheit und letztlich sind es immer auch Geschichten, die diese Orte umkreisen.
Dennoch haben alle Orte wechselvolle Zeiten. Verblasst das Geheimnis eines Ortes oder ist es bisweilen nicht mehr aufzufinden, so entsteht ein Vakkum und dann ruft man nicht selten Marketing und Design auf den Plan, um dieses Loch wieder zu füllen. Damit aber sucht man Versatzstücke, beruft sich auf etwas Manifestes, inszeniert Zeitgeist, während das Geheimnis letztlich immer unaussprechlich bleibt.
Orte gründen auf Geheimnissen, entstehen aus Umkreisungen. Ein exemplarisches Beispiel ist das lombardische Mediolanum, das heutige Milano – entstanden aus Umkreisungen um einen Mittelpunkt: einst keltisches Heiligtum, dann christliches, später Designerstrasse. Damit verbunden ist immer auch eine entsprechende Interpretation von Lebensräumen, von Themen.
Orte funktionieren wie Orbiter: sie sind umgeben von Umlaufbahnen von Themen, die um ihren Ortskern kreisen. Jeder Ort kennt solche Umlaufbahnen von Themen und damit komme ich zu meinem zweiten thematischen Aspekt, dem
FRAGEN
Uns beschieden ist das Erforschen dieser Themen, dieser Geschichten, entstanden aus Umkreisungen.
Gerade ein Workshop wie jener von SAN BERNARDINO gibt Gelegenheit, diese Umlaufbahnen von Themen zu ergründen. Dieses Ergründen besteht vorerst aus nichts anderem denn aus stetem Fragen.
Nicht irgendwelche Fragen, massgebend bleibt, die richtigen Fragen zu stellen.
Doch der Weg dorthin kann mitunter recht dornenvoll sein. Was vermag einen dabei zu leiten?
Fragen stellen berührt zwei wichtige Aspekte:
So trivial es tönt: Fragen haben immer mit dem Gegenstand der Befragung zu tun. In unserem Fall: Was ist eigentlich ein Ort? Was sind die wesentlichen Zeichen dieses Ortes?
Was macht das Wesen eines Ortes aus? Wenn sie beispielsweise hier zum Fenster hinausschauen und sich fragen: wo ist eigentlich der Ursprung dieses Ortes – liegt er in dieser alten Kirche dort oder unter der Kuppel der neuen Kirche und wie kommt ein solcher Ort überhaupt zu einer solchen Kirche oder liegt der Ursprung gar in der Varietät dieser verschiedenartigen Dächer?
Daraus entsteht ein Wechselspiel zwischen Fragen und Beobachten und Fragen. In der genauen Beobachtung der konkreten Dinge liegt ein erster Schlüssel, um zu den richtigen Fragen zu gelangen.
Dazu gesellt sich ein anderei, wesentlichen Aspekt.
Dieser hat mit dem Fragenden selbst zu tun:
Wo ist seine höchste Energie des Fragens?
Wo ist jener Ort des Fragens, wo er sich selbst am nächsten ist? Welches sind die Fragen, die einen selbst zutiefst interessieren, die einen im Innersten bewegen?
Der tiefere Sinn des Fragens liegt ja nicht in der Anhäufung einer Menge von Daten, nicht in der Summe wiedergegebener Allgemeinplätze. Wesentlich ist vielmehr das stete Ringen um den Gegenstand des Fragens und das ist immer auch ein Ringen mit und um sich selbst.
Findet man nicht den Weg zu seinen eigenen Fragen, den Bezug zu sich selber, so findet man auch nicht den Weg zu den Dingen.
Meisterschaft hat nicht mit der Beherrschung von Regeln zu tun, sondern mit dem Sich-Hineinlegen in die Dinge – und nicht zuletzt auch in sich selber.
In diesem Sinne ist ein solcher Workshop eine ideale Übunsganlage, mit sich einen Ort zum umkreisen und zu seinem thematischen Kern vorzustossen.
Es ist Gelegenheit, San Bernardino zu umkreisen, Fragen zu stellen und zu einem Kern vorzustossen – 14 Tage der Umkreisung.