2005 SASSO SAN GOTTARDO

THEMATISCHES KONZEPT

Autoren: Jean Odermatt und Martin Immenhauser Wissenschaftliches Referat: Franziska Rubin

© FondazioneSassoSanGottardo Oktober 2005

> INHALT

Die Themen und der Ort – Mythos Gotthard oder vom Zauber eines Ortes 1  Ein Themenpark auf dem Gotthard? 2  Gotthard – eine doppelte Topographie 3  Allzweckmythos Gotthard 4  Die Themenbereiche: ein Überblick 5  Begegnungsort von Forschung und Öffentlichkeit

Thema Verkehr – Unterwegs zu südlichen Sehnsüchten oder von der Eliminierung der Vertikalen 6 Anknüpfungspunkte 7 Kernbotschaften
8 Erkenntniswert
9 Verknüpfungen

Thema Wasser – Ein Schloss am Ursprung der grossen kontinentalen Ströme 10 Anknüpfungspunkte 11 Kernbotschaften
12 Erkenntniswert
13 Verknüpfungen

Thema Energie – Die neuen Rohstoffe vor der Haustüre – Geschichten von Wind und Wasser 14 Anknüpfungspunkte 15 Kernbotschaften
16 Erkenntniswert
17 Verknüpfungen

Thema Wetter und Klima – Die Wetterküche und ihre Zutaten 18 Anknüpfungspunkte 19 Kernbotschaften
20 Erkenntniswert
21 Verknüpfungen

Thema Sicherheit -Ein Grundbedürfnis in alten und neuen Häusern 22 Anknüpfungspunkte 23 Kernbotschaften
24 Erkenntniswert
25 Verknüpfungen

Thema Geschichte – Die verlassene Zitadelle der Alpen – Flugbahnen aus der Geschichte 26 Anküpfungspunkte 27 Kernbotschaften
28 Erkenntniswert
29 Verknüpfungen

SASSO SAN GOTTARDO – THEMATISCHES KONZEPT

> Die Themen und der Ort – Der Mythos Gotthard oder vom Zauber eines Ortes

1 Ein Themenpark auf dem Gotthard?

Das Vorhaben, einen Themen- und Forschungspark an einem hochalpinen Ort zu errichten, der nur während fünf bis sechs Monaten im Jahr zugänglich ist, bedarf der Begründung. Die Rechtfertigung, warum dieses Vorhaben nur hier und nicht anderswo realisiert werden kann, lie- fern der Ort selber, sein schillernder Namen und seine nationale, ja sogar europäische Bedeutung. Dabei ist der Gotthard nicht einmal ein Berg oder Ort im eigentlichen Sinne, sondern höch- stens ein geographischer Raum. Deshalb ruft der Name SAN GOTTARDO trotz seiner grossen Bekanntheit auch nicht ein einprägsames Bild von einem Ort hervor, wie dies beim Matterhorn oder bei der Altstadt von Bern der Fall ist. Nicht die Landschaft scheint von primärem Interesse zu sein, sondern deren Überwindung durch Eliminierung der Vertikalen und deren gleichzeitigen Beherrschung durch Befestigungsanlagen. Die Assoziationen, die der Namen SAN GOTTARDO hervorruft, manifestieren sich deshalb fast immer in Kunstbauten: Tunnels, Brücken, Strassen, Festungsanlagen und was mit ihnen zusammenhängt. Nicht der natürliche Raum an sich, sondern das, was der Mensch in der Realität und in seiner Vorstellung aus ihm gemacht hat, liess SAN GOTTARDO zu einem nationalen Symbol werden.

2 Gotthard – eine doppelte Topographie

Der Gotthard ist ein Übergang von Norden nach Süden und umgekehrt. Diese Funktion nehmen auch andere Alpenpässe wahr. Was unterscheidet also den Gotthard von den übrigen Alpen- pässen?

Im gesamten Alpenraum müssen für die Nord- Süd-Verbindung immer zwei Sattelpässe über- wunden werden (z.B. Grimsel und Simplon). Nur im Raum Gotthard fliessen die beiden Ost-West Gebirgszüge zusammen und vereinigen sich zu einer topographischen Wespentaille. Dadurch stellt der Gotthard die kürzeste Nord-Süd Ver- bindung zwischen der dicht besiedelten Lom- bardei und dem schweizerischen Mittelland so- wie dem süddeutschen Raum dar.

Trotz seiner heutigen Bedeutung für den inter- nationalen Transitverkehr gehört der Gotthard nicht zu den ältesten Alpenpässen. Die nur wenigen historischen Funde aus der Römerzeit belegen, dass der Gotthard eine untergeordnete Rolle im römischen Verkehrssystem darstellte. In der Antike waren der Gosse St. Bernhards sowie der Splügenpass und der Julierpass wesentlich bedeutender. Dies änderte sich erst im Spätmittelalter, als die Verkehrswege ausgebaut wurden. Bis ins 13. Jahrhundert blieb die Schöllenenschlucht ein beinahe unüberwindbares Hindernis der Gotthard-Route. Trotz des «stiebenden Stegs», der ersten Brücke über die Reuss, zu dessen Bau nach der Legende die Urner einen Pakt mit dem Teufel schlossen, blieb die Reise durch die Schöllenenschlucht noch während Jahrhunderten ein gefährliches Abenteuer.

Dies änderte sich, als der alte Saumpfad in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer veri- tablen Passstrasse ausgebaut wurde. Es entstand die Strassen durch die Schöllenenschlucht und die legendären Serpentinen durch das Val di Tremola. 1882 erfolgte dann die Eröffnung des Eisenbahntunnels, der zusammen mit den Bauten auf der Nord- und Südrampe eine der grossen technischen Meisterleistungen seiner Zeit darstellt. Mit Stolz wurde 1980 die Eröffnung des längsten Strassentunnels der Welt gefeiert. Und mit Spannung werden die Fort- schritte beim Bau des mit 57 km weltweit längsten Eisenbahntunnels verfolgt, die die Reisezeit zwischen den Zentren Zürich und Milano um einen Drittel reduzieren soll.

Der Gotthard wurde und wird in seiner Funktion als kürzester und bequemster Alpenübergang durch die verkehrstechnischen Errungenschaften geprägt. Doch die besonderen topographischen Voraussetzungen haben nicht nur die aussergewöhnliche Verkehrsgeschichte beeinflusst, sondern manifestieren sich ebenso in den klimatischen Bedingungen und dem Wasserhaushalt. Mit vier grossen europäischen Flüssen, die im Gotthardgebiet ihren Ursprung haben, gehört der Gotthard zu einem wichtigen Trinkwasserlieferant. Klimatisch stellt der Gotthard eine Wet- terscheide zwischen dem subtropisch-mediterranen Klimas des Süden und atlantisch-feuchten Klimas des Nordens dar. Kaum anderswo werden zwei klimatische Räume so abrupt voneinander trennt.

Aufgrund dieser Eigenschaften ist der Gotthard nicht nur einfach ein Pass in den Zentralalpen, sondern vor allem auch ein Raum, in dem sich zentrale Themen unserer Gesellschaft auf ein- drückliche und unmittelbare Weise manifestie- ren. Er ist ein „gemachter“ Raum, ein Produkt der Zivilisation. Ausgehend von der besonderen Topographie des Raums erhält er sein Gesicht seit Jahrhunderten von den Menschen die ihn benutzen. Die Intensität seiner Nutzung gab ihm eine doppelte Topographie: Zum einen die der hochalpinen Gebirgslandschaft mit ihrer einma- ligen Natur und zum andern die der technischen Eingriffe mit ihren Verkehrswegen, Staumauern und Befestigungsanlagen.

Diese Topographie wird durch eine kulturelle Ebene überlagert. Der Ort des Übergangs ist auch eine Brücke zwischen der maritimen Kultur des Südens und der cisalpinen Kultur des Nor- dens. Wie kaum an einem anderen Ort ist hier der Wechsel der Kulturen unmittelbar erlebbar, weshalb er immer wieder starke Assoziationen hervorruft. Dies alles macht den Gotthard zu einem herausragenden Ort – zu einem Symbol.

3 Allzweckmythos Gotthard

Der Gotthard wird als einer der symbolträchtigsten Orte der Schweiz bezeichnet. Doch welche Symbole repräsentiert der Gotthard? Diese Frage zu beantworten fällt nicht leicht. Zu viele Vor- stellungen sind mit dem Namen verbunden, als dass ein einheitliches Bild entstehen könnte. Der Name Gotthard löst Emotionen aus, ohne dass er als konkreter Ort erklärt werden muss. Per- sönliche Erfahrungen oder medial verbreitetes Wissen prägen in vielfältiger Weise den Ort.

Gerade diese Vielschichtigkeit liess den Gotthard zu einem Allzweckmythos, zu einer polyvalenten Projektionsfläche werden, die unterschiedlichste Werte und Vorstellungen aufzunehmen und wiederzugeben vermag. In diesem Facettenreichtum und in seinem steten Wandel spiegelt der Mythos Gotthard in vielem unsere Gesellschaft. Er wird dadurch zu einem Symbol nationaler Identität.

Diese identitätsstiftende Funktion des Mythos Gotthard ist die Grundlage des vorliegenden Themenkonzeptes. Es geht nicht darum, einen Ort seiner selbst willen zu feiern, sondern seine Bedeutung, die ihm unsere Gesellschaft gegeben hat, aufzuzeigen und in einen grösseren Kontext zu stellen. Zu diesem Zweck wird der Allzweckmythos Gotthard in seinen wesentlichen Elemen- ten dargestellt:

Verkehr / Wasser / Energie / Wetter & Klima / Sicherheit / Geschichte

Diese Bereiche bilden die sechs Schwerpunkte des Themenparks. Obwohl ihr innerer Zusam- menhang nicht auf den ersten Blick erkennbar ist, stehen sie doch in enger Beziehung zueinander und bedingen sich gegenseitig. Dies aufzu- zeigen, ist eine der Hauptzielsetzungen von SASSO SAN GOTTARDO.

Gleichzeitig wird der Gotthard als Mittelpunkt einer einmaligen Kulturlandschaft verstanden. Durch seine Bedeutung als Transitraum und als Ort des Übergangs erfuhr er über die Jahrhun- derte eine stets sich verändernde Prägung, wo- von die zahlreichen Denkmäler entlang der Ach- sen auf beredte Weise erzählen. SASSO SAN GOTTARDO greift ihre Geschichte auf, verknüpft sie mit seinen Fragestellungen und integriert sie als Aussenstationen in den Themenpark.

4 Die Themenbereiche: ein Überblick

Die Themen werden nicht in ihrer ganzen, schier uferlosen Breite abgehandelt, sondern in ihrer konkreten Erscheinung auf dem Gotthard und in ihrem Zusammenspiel dargestellt. Die dadurch gewonnen Anschaulichkeit erlaubt eine erhebliche Reduktion der Komplexität der behandelten Themen. Jeder der sechs Bereiche des Themen- parks erhält deshalb einen Fokus, der zum einen den Besuchern den Zugang zur Thematik erleich- tert und zum andern die Verknüpfung der The- men erlaubt. Die sechs Bereiche des Themenparks tragen folgende Bezeichnungen:

·       -  Verkehr und Mobilität
Unterwegs zu südlichen Sehnsüchten oder von der Eliminierung der Vertikalen

·       -  Wasser –
Ein Schloss am Ursprung der grossen kontinentalen Ströme

·       -  Energie 
Rohstoffe vor der Haustür – Geschichten von Wind und Wasser

·       -  Wetter und Klima 
Die Wetterküche und ihre Zutaten

·       -  Sicherheit 
Ein Grundbedürfnis in alten und neuen Häusern

·       -  Geschichte 
Die verlassene Zitadelle der Alpen – Flugbah- nen aus der Geschichte

Nebst der fokussierten Betrachtungsweise ist ein wichtiger Anspruch des Themenparks SASSO SAN GOTTARDO, die einzelnen Themen in ihrem Zusammenhang zu zeigen. Es geht somit nicht darum, Erscheinungsformen von aktuellen Problemen nur darzustellen, sondern ihre Bedeutung im Kontext anderer Fragestellungen aufzuzeigen. Dabei wird die Gewichtung der aufge- worfenen Fragen grundsätzlich dem Besucher überlassen. Das Erkennen von Zusammenhängen und die Auseinandersetzung mit den Themen erscheinen ihm als Angebot und nicht als Pflicht. Mit diesem Ansatz hat jeder Besucher die Mög- lichkeit, die Vielschichtigkeit der Themen mit seinen Bedürfnissen und Vorstellungen zu erfas- sen und dadurch für sich auch nachhaltige Er- kenntnisse zu gewinnen. Weder geht es darum, Bestehendes zu beurteilen oder gar zu bewer- ten, noch sollen Ratschläge erteilt oder definitive Lösungen propagiert werden. Vielmehr sollen anhand der Entwicklungen im Gotthardraum Zusammenhänge von zentraler gesellschaftlicher Bedeutung sichtbar gemacht werden, die den Besucher sensibilisieren und ihm ermöglichen, seine eigene Sichtweise zu entwickeln.

Trotz der radikalen Transformation des ehemali- gen Artilleriewerks in einen zeitgemässen The- men- und Forschungspark wird die ursprüngliche militärische Funktion der Anlage nicht verleug- net. Deshalb wird ein Teil des historischen Fe- stungsbaus getreu seiner ursprünglichen Funkti- on rekonstruiert werden. In ihm kann der Besucher einen Eindruck von der ursprünglichen Ar- chitektur und ihren Aufgaben gewinnen. Dieser Bereich wird jedoch nicht nur als eine Art Hom- mage an die frühere Gotthardfestung gestaltet, sondern mit den anderen Abteilungen thema- tisch verbunden. Gerade aus der Konfrontierung heutiger Fragestellungen mit historischen Ant- worten ergeben sich Erkenntnisse und Zusammenhänge, deren Plausibilität sich anderswie nicht annähernd erreichen liesse. Die Vergangenheit erscheint dadurch als Ausgangspunkt einer Flugbahn, die sich bis heute fortsetzt.

5 Begegnungsort von Forschung und Öffentlichkeit

Die Konzeption und Ausgestaltung der Themen- bereiche von SASSO SAN GOTTARDO beruhen auf soliden wissenschaftlichen Grundlagen, die in Zusammenarbeit mit schweizerischen und europäischen Forschungsinstitutionen erarbeitet wurden. Diese Kooperation wird auch zukünftig fortgesetzt werden, wodurch die Themenbereiche fortlaufend aktualisiert werden können. Ebenso können Forscherteams auch vor Ort arbeiten. Die Kooperation mit erfahrenen Experten aus dem Ausstellungsbereich garantiert zudem eine optimale Kommunikation der Themen und Forschungsergebnisse. Dadurch bietet SAS- SO SAN GOTTARDO einerseits der Wissenschaft ein Fenster für die Kommunikation ihrer Tätig- keit und Ergebnisse und andererseits einem brei- ten Publikum die Möglichkeit zur Begegnung mit der wissenschaftlichen Forschung und ihren Erkenntnissen.

Ein wichtiger Pfeiler des Themen- und For- schungsparks SASSO SAN GOTTARDO wird ein Datennetz sein, das stets aktualisierte Informationen zu den Themenbereichen zur Verfügung stellt. Dadurch soll der Besucher die Möglichkeit erhalten, je nach Interesse vertiefte Informatio- nen beziehen zu können. Dieses Angebot richtet sich insbesondere an Gruppen wie Schulen, Vereine, Firmen und andere Organisationen, die ein erweitertes, individuell zugeschnittenes Pro- grammangebot nutzen möchten.

> THEMA VERKEHR

Unterwegs zu südlichen Sehnsüchten oder von der Eliminierung der Vertikalen

6 Ausgangspunkte

Zu den präsentesten und augenfälligsten Themen des Gotthards gehört der Verkehr. Die kür- zeste Nord-Süd-Transversale durch die Alpen ist auch gleichzeitig die kürzeste Verbindung zwi- schen den grossen Ballungszentren des Mittellandes, der oberrheinischen Tiefebene und der Lombardei. Die Kürze dieser Nord-Süd-Verbindung hebt aber auch das Trennende zwi- schen den Ausgangspunkten hervor. Anhand der oft signifikanten Klimaunterschiede erlebt dies der Reisende auf der Gotthardachse oftmals in sehr unmittelbarer Weise. Aber auch die kul- turellen „Druckunterschiede“ sind auf einer Reise durch oder über den Gotthard genauso wahrnehmbar wie der Föhn, der häufig die klimatischen Druckunterschiede auf die eine oder andere Seite auszugleichen versucht. Gerade diese enormen, für jeden spürbaren kulturellen Veränderungen innerhalb einer kurzen Distanz machen den Gotthard auch zum Sinnbild der nördlichen Sehnsucht nach dem Süden – oder der südlichen Hoffnungen auf ein sichereres Leben im Norden. Dadurch wird das Thema Verkehr zu einem Ankerpunkt des Mythos Gotthard und dadurch auch zu einer Zugangsmöglichkeit der damit verbundenen Gesamtthematik.

Der Gotthard hat in erster Linie sein Gesicht durch die Funktion als Verkehrsraum erhalten. Wer ihn in als Durchgangsraum nutzen will, kommt von aussen und betritt den Raum, um ihn möglichst schnell auf der anderen Seite wieder zu verlassen. Für die im Raum ansässigen Menschen stellt die von aussen auferlegte Funktion ein zweischneidiges Schwert dar. Denn jede Funktion, die von aussen kommt, wird auch von aussen gesteuert. Sie wird von einer Entwick- lungsgeschwindigkeit beherrscht, die mit der Eigendynamik der Menschen vor Ort häufig nicht einhergeht. Und fällt eine externe Funktion auf einmal weg, so hinterlässt sie oftmals schmerzhafte Lücken, vor allem dann, wenn sie für den Raum von existentieller Bedeutung war.

Die Sage von der Teufelsbrücke ist somit mehr als nur ein Mythos. Sie stellt das von fremder Hand erbaute Bauwerk, mit dem der Gotthard zu einer durchgehenden Verkehrsachse wurde, als Teufelswerk dar. Die Sage bring somit das Dilemma auf den Punkt: Fortschritt, auch mit externer Hilfe, ist zwar erwünscht und auch notwendig, aber zu welchem Preis? Was für Folgen bringt die dadurch in Kauf genommene Abhängigkeit mit sich? So gesehen ist jede von aussen hineingetragene Raumfunktion ein „Pakt mit dem Teufel“.

7 Kernbotschaften

Aus dieser Betrachtungsweise ergeben sich fol- gende drei Kernbotschaften für den Themenbe- reich Verkehr und Mobilität:

1. Der Verkehr hat dem Gotthardraum sein Gesicht gegeben. Er machte aus dem einst nur schwer zu überwindenden Hindernis einen Transitraum, der die grossen Zentren und ihre Kulturen beidseits der Alpen verbindet. Verändert sich die Lage oder die Qualität der Verkehrsachse, verändert sich auch der Raum. Das Erscheinungsbild des Gotthards ist deshalb auch weitgehend das Spiegelbild des geltenden Konzepts des alpenquerenden Verkehrs.

2. Diese primäre Funktion des Gotthards wird von den urbanen Zentren aus gesteuert. Die regionalen Bedürfnisse vor Ort spielen dabei nur eine untergeordnete Rolle. Dadurch ent- steht eine Abhängigkeit der Region, die für sie mit Risiken verbunden ist. Dieses Spannungsfeld findet sich auch andernorts, je- doch selten so ausgeprägt wie am Gotthard.

 3. Will sich die Region nicht vollständig der fremdgesteuerten Funktion als Verkehrsträger ausliefern, muss sie auf der Grundlage ihrer Ressourcen eigene Funktion entwickeln, die eine sichere Weiterexistenz im Raum er- möglichen. Voraussetzung dazu ist die Ab- kehr von der eindimensionalen Wahrneh- mung des Gotthards als Verkehrsachse. Welche Alternativen zur Verfügung stehen, möchten die anderen Themenbereiche von SASSO SAN GOTTARDO beispielhaft aufzeigen.

8 Erkenntniswert

Der Name SAN GOTTARDO steht heute für die Verwandlung einer alpinen Region von einer natürlichen Barriere zu einer Hochleistungspassage zwischen Nord und Süd. Sie ist das Ergebnis einer Entwicklung, die, gelenkt vom Bedürfnis nach Mobilität, den steten Ausbau der Ver- kehrswege und die Entwicklung neuer Transportmittel fordert. Aus der einstigen terra inco- gnita wurde ein hochtechnisierter Transitraum. Der Gotthard wird heute als Symbol des techni- schen Fortschritts und damit auch als Ikone der Neuzeit wahrgenommen - mit all seinen Vor- und Nachteilen. Oft reduziert sich das Bild auf wenige Elemente: Stau, Kehrtunnel, NEAT- Baustelle oder Teufelsbrücke.

Der Themenbereich Verkehr und Mobilität setzt bei diesem vorhandenen Wissen und den damit verbundenen Emotionen der Besucher an. Er will aufzeigen, woher diese Raumprägung kommt und was sie noch alles bedeuten kann. Insbesondere will er auch sichtbar machen, wie der Verkehr den Gotthardraum über die Jahrhunderte verändert hat, welche Chancen und Risiken damit verbunden sind und was diese starke Vorprägung für die Zukunft der Region bedeuten kann. Dieser Zusammenhang zwischen Verkehr und der allgemeinen Wahrnehmung vom Gott- hard wird nicht als einzigartiges Phänomen ver- standen, sondern als besonders ausgeprägtes

Beispiel vom Zusammenspiel zwischen Raum und Funktion.

Ausserdem wird der Gotthard als anschauliches Beispiel für das Wechselspiel zwischen technolo- gischem und gesellschaftlichem Wandel verstan- den. Anhand der Mobilität lässt sich auf exem- plarische Weise die Auseinandersetzung zwischen Innovation und Beharren veranschaulichen, die oftmals auch die unterschiedlichen Denk- und Handlungsweisen der Bevölkerung von Stadt und Land kennzeichnen.

9 Verknüpfungen

SASSO SAN GOTTARDO will – erstmals in der Schweiz – den Verkehr als Ganzes zu einem Gegenstand permanenter historischer, kultureller und gesellschaftlicher Betrachtung machen. Durch die intensive Zusammenarbeit mit bereits bestehenden Kompetenzzentren sollen Doppel- spurigkeiten vermieden und sich aufdrängende Synergien ausgenutzt werden. SASSO SAN GOTTARDO wird deshalb keine Konkurrenzdestination zum Verkehrshaus Luzern, sondern eine sinnvolle Ergänzung mit eigenem Profil sein. Der modulartige Aufbau des Themenbereichs erlaubt es zudem, einige Teile der Ausstellung während der Wintermonate temporär in bereits bestehende Installationen im Einzugsgebiet von SASSO SAN GOTTARDO zu integrieren, wodurch eine effiziente Vernetzung des Angebotes ermöglicht wird.

> THEMA WASSER

Ein Schloss am Ursprung der grossen kontinentalen Ströme

10 Anknüpfungspunkte

Das Thema Wasser ist untrennbar mit dem Raum Gotthard verknüpft. Hier entspringen die vier Flüsse Rhein, Rhone, Reuss und Ticino und fliessen in alle Himmelsrichtungen. Das Wasser dieser Flüsse ist für die tiefer liegenden europäischen Ebenen von zentraler Bedeutung. Insgesamt 7°% des europäischen Trinkwassers haben hier ihren Ursprung. Aber auch für die Industrie und Landwirtschaft ist das aus dem Alpenraum stammende Wasser wichtig: Im Sommer, wenn die Niederschläge geringer und die Verdunstung hoch sind, speist das aus den Alpen abfliessende Wasser die grossen europäischen Ströme.

Der Gotthard als eine riesige Quelle, an der die wichtigste Ressource der Menschheit entspringt, vielfältiges Leben ermöglicht und zugleich durch seine unberechenbare Kraft bedroht, ist ein symbolträchtiger Ort, ein Ort der ebenso Träume und Mythen assoziiert. Als Quell- und Ursprungsort des Wassers steht der Gotthard für das Leben, für Vergangenheit und Zukunft – für die Zeit.

Der Gotthard als Wasserschloss Europas impliziert für den Raum der Zentralalpen und das Element Wasser verschiedenste Funktionen und Bedeutungen. Eine Interpretation des Begriffs „Schloss“ bezeichnet ein Gebäude, das grosszügig angelegt, stattlich und meist kunstreich ge- staltet ist. Als Gebäude diente es dem Adel und später dem Grossbürgertum als repräsentativer, komfortabler Wohnsitz. Die Konzentration von Macht und die damit verbundene Abhängigkeit der Untertanen beziehungsweise des Landes sind weitere Merkmale eines Schlosses.

Wie ein Schloss, bewohnt von vermögenden und bedeutsamen Leuten, steht der Gotthard als majestätisches Bergmassiv im Herzen der Alpen, bewohnt von schier unerschöpflichen Wasserre- serven im Untergrund des Gesteins – ein kostbares Gut, eine knappe Ressource, die in der Wirt- schaft, in der Gesellschaft und in der Politik eine zentrale Rolle spielt. Einem Schloss gleich geht vom Gotthard eine Anziehungskraft, die Be- wunderung, ja Faszination auslöst. War es früher die Bezwingung dieser unwirtlichen Gegend, später die Über- und Durchquerung des Alpenriegels sowie seine Umgestaltung zu Zitadelle der Gotthardfestung, so ist es heute die einmalige Passlandschaft mit ihren kunstvollen Bauten, die wild-romantische Natur sowie die mythen- schwere Bedeutung des Ortes, welche die Anziehungskraft des Gotthard-Schlosses ausmacht.

Eine zweite Bedeutung des Begriffs „Schloss“ umfasst nebst dem Gebäude die meist mechani- sche Vorrichtung, die dem Zweck des Abschliessens und Einschliessens eines Gegenstandes unter Verwendung des passenden Schlüssels ermöglicht. Ihre Funktion beinhaltet stets auch die Regelung des Zutritts oder des Zugriffs. Der Zugang zu Wasser kann hingegen nur begrenzt kontrolliert werden. Ein natürlicher Zugangmechanismus ist beispielsweise die weltweit ungleiche Verteilung von Wasser, wobei die nördliche Hemisphäre über bedeutend grössere Vorkommen verfügt als die südliche.

Erst das Einschliessen durch Fassen und Sammeln von Wasser macht aus dem Gut eine nutz- bare Ressource. Verteilmechanismen wie künstlich gebaute Leitungen machen Wasser kontrol- lierbar und verwertbar. Die Schweiz kann sich in der glücklichen Lage schätzen, stets ausreichen- de Wasservorkommen zur Verfügung zu haben. Diese Fülle von Wasser rückt die Frage des Zu- gangs und der Restriktion des Wassers in den Hintergrund. Auch die Frage nach: „Wem gehört das Wasser?“ ist heute für unsere Existenz nebensächlich, denn Wasser ist in den allen Ländern nördlich der Alpen ein Gut, das im Überfluss vorhanden ist. Wir brauchen doch nur den Wasserhahn aufzudrehen oder eine Flasche Mineralwasser im Laden um die Ecke zu kaufen. Der Gedanke, täglich mehrere Stunden zurückzulegen, um etwas Wasser zu gewinnen, mit dem kaum die einfachsten Bedürfnisse gedeckt werden können, liegt uns fern.

Bei all den Gedanken über Nutzung und Zugang bleibt der Aspekt unbeachtet, dass Wasser auch in freier Natur für Gesellschaft und Umwelt wertvoll ist. Erst Wasser macht eine Landschaft lebensfähig, lässt aus einer Wüste ein Blumenmeer werden und gibt dem Boden Gestalt und Konturen. In der Form von Seen, Flüssen und Gletschern prägt Wasser Landschaften und lässt sie zu Kulissen von unschätzbarem Wert für Erholung und Tourismus werden. Das Wasser als wertvolles Gut schätzen zu lernen, die Rolle des Gotthards im Wasserkreislauf auszuleuchten, die Macht über den Rohstoff und das Potential auf- zudecken, sowie Fragen des Zugriffs, der Vertei- lung und des Rechts am Wasser zu thematisieren, sind Aspekte, die im Zusammenhang mit dem Wasserschloss Gotthard stehen und in SAS- SO SAN GOTTARDO aufgegriffen werden.

11 Kernbotschaften

SASSO SAN GOTTARDO inszeniert das Thema Wasser in seinem Bezug zum Raum Gotthard und strebt damit gleichzeitig eine ganzheitliche Auffassung und Darstellung der Thematik an. Deshalb ergibt sich aus den dargelegten gedanklichen Ansätzen und in Bezug zum Ort für den Themenpark SASSO SAN GOTTARDO folgender Fokus der Thematik Wasser:

1. Wasser hat Herkunft: Der Gotthard als Was- serschloss und Ursprung des zivilisatorischen Wasserkreislaufs verleiht dem Ort eine grosse Symbolik. Die Frage nach der Herkunft des Wassers drängt sich hier in einem Mass auf wie kaum woanders. Wasser fliesst nicht ein- fach aus dem Hahn in Küche oder Badezim- mer. Wasser hat Herkunft und ist Teil eines natürlichen Kreislaufes. Wasser ist zu vielfältig, als dass es nur als konsumierbares Alltagsgut behandelt werden könnte. Wasser ist glänzend, blau, bunt und schwarz, geheimnisvoll und gefährlich, lädt zum verweilen und träumen ein, spendet gleichzeitig Heil und Erholung und bedroht uns.

2. Wasser als Kreislauf: Mit der Frage nach der Herkunft der Wassers taucht auch die Frage nach dem Wohin auf. Diese zweite zentrale Frage zeigt, wie die Gesellschaft mit Wasser umgeht und wie Wasser genutzt wird. Dabei wird deutlich, dass sich das Verständnis und der Umgang mit dem Element Wasser im Laufe der Zeit verändert haben. Die Gelegenheit, Wasser in seinem natürlichen Kreislauf zu erfahren, ist heute kaum mehr möglich. Immer mehr Eingriffe werden in das natürli- che System vorgenommen, um Wasser zu kontrollieren aber auch zu nutzen. Flussläufe werden korrigiert, Wasser wird in Stauseen zwecks Energiegewinnung zurückbehalten, Wasser wird in Reservoirs gefasst, Wasser wird zur Bewässerung von Landwirtschafts- flächen Flussläufen und Seen entnommen – um nur einige Beispiele zu nennen, wie Was- ser bezwungen und genutzt wird. Das Was- ser als Teil eines Kreislaufs zu verstehen, ist ein zentrales Anliegen des Themen- und Forschungsparks SASSO SAN GOTTARDO.

3. Wasser als Ressource: Unser Bezug zu Wasser hat sich von einem natürlichen, integrativen Verständnis hin zu einer rein ressourcenorien- tierten Sicht gewandelt. Wasser wird heute selektiv wahrgenommen und immer stärker in seine verschiedenen Teilaspekte aufgegliedert. Obwohl unser Wissen über Wasser sehr umfassend und detailliert ist, wird die Thematik nicht mehr als Ganzes und in Bezug zum Kreislauf verstanden. Immer stärker tritt der Schliess-Gedanke in den Vordergrund: die Bemühungen, Wasser zu beherrschen, zu überwachen und die Macht durch Zugang zu Wasser zu erhalten.

12 Erkenntniswert

Im Themenbereich Wasser wird dem Besucher die Möglichkeit gegeben, sich nach seinen Be- dürfnissen auf die Thematik einzulassen. Wasser bewusst fühlen, unterschiedliche Qualitäten erfahren, das Zusammenspiel von Wasser, Licht und Fels erkennen, bewusst Wassergeräusche wahrnehmen – dies sind nur einige Aspekte, die der Besucher von seiner Visite in SASSO SAN GOTTARDO mitnehmen wird.

Dadurch kann der Besucher an diesem symbolisch aufgeladenen Ort bewusst Wasser als Teil eines Kreislaufes und somit in seiner Gesamtheit wahrnehmen. Der Erkenntnisgewinn beruht nicht auf rein intellektuellen oder technischen Zugängen, sondern versucht eine sinnliche Sprache des Wassers zu sprechen. Der kognitive Teil des Themenbereichs Wasser wird dem Besucher über eine Wasserdatenbank zur Verfügung gestellt.

Der Erkenntnisgewinn beim Besuch der Anlage SASSO SAN GOTTARDO ist mit den beiden Kernbotschaften eng verknüpft. Die erste Bot- schaft von der Herkunft und des Kreislaufs des Wassers soll dem Besucher über intensive Erleb- nisse näher gebracht werden. Die zweite Kern- botschaft, die mit der Funktion des Wassers als knappe Ressource verbunden ist, wird dem Be- sucher über einen intellektuellen Zugang näher gebracht.

13 Verknüpfungen

Zwischen dem Thema Wasser und den anderen Bereichen von SASSO SAN GOTTARDO bestehen zahlreiche Berührungspunkte. «Wasser» und «Energie» sind verknüpft über die Produktion von Wasserkraft, die als eine der ökologischsten und nachhaltigsten Energieformen gilt. Die Produktion von Wasserkraft hat aber auch Auswirkungen auf die Gestaltung der Landschaft durch Staumauern, Überflutung von alpinen Gebieten, Restwassermengen in den Bächen etc.

Auch der Themenbereich «Klima und Wetter» ist mannigfaltig mit der Thematik Wasser ver- knüpft. Viele Wetterphänomene manifestieren sich durch Wasser und sind dadurch mit dem Kreislauf des Wassers verknüpft. Klimaphänomene und insbesondere auch Klimaveränderungen lassen sich anhand des Wasserkreislaufs besonders gut darstellen. Über den rasanten Rückzug der Gletscher in der Vergangenheit und ihre zukünftige Veränderung wird ein deutliches Indiz für die Klimaveränderung geschaffen. Der Besucher soll mit Fakten und Visionen konfrontiert werden, die Fragen über Zukunft, Vergangenheit, Verantwortung, Machtlosigkeit und Lösungen auftauchen lassen.

Ebenso bestehen starke Bezüge zum Bereich «Verkehr und Mobilität». Die Verkehrsentwick- lung ist hauptsächlich von den städtischen Zen- tren aus bestimmt. Der Gotthard wird vorwiegend als Transitraum wahrgenommen, dessen möglichst schnelle Überwindung im Vordergrund steht. Demgegenüber ist Wasser eine Ressource, die im Raum entspringt und von deren Qualität und Quantität die städtischen Zentren abhängen. Wasser ist eine ureigene Ressource des Gotthards, ein Potential, mit dem sich die Bewohner des Raumes zumindest teilweise aus ihrer Fremdbestimmung lösen können. Es gilt, diese Ressource ökonomisch, aber auch ökologisch und dadurch nachhaltig zu nutzen.

Auch zum Themenbereich «Sicherheit» bestehen vielfältige Bezüge. Unserem heutigen Sicher- heitsbedürfnis entsprechend versuchen wir, jegliches Risiko zu vermindern und die Natur best- möglich zu kontrollieren. Mag dies teilweise gelungen sein, so war, ist und bleibt Wasser stets auch eine Gefahr, die nie ganz eliminiert werden kann. Die strategische Bedeutung der knappen Ressource Wasser ist ebenfalls ein wesentlicher Aspekt, der die Themenbereiche «Sicherheit» und «Wasser» verbindet.

> ENERGIE

Die neuen Rohstoffe vor der Haustür – Geschichten von Wind und Wasser

14 Anknüpfungspunkte

Der Gotthard ist ein wichtiger Ursprungsort von Energie. Wasser und Wind zählen zu den fast in unbeschränkter Menge verfügbaren natürlichen Ressourcen des Gotthards. Während Wasserkraft bereits intensiv genutzt wird und nur noch über ein geringes Ausbaupotential verfügt, steht die Energiegewinnung mittels Wind noch am An- fang.

Nebst den Aspekten der Energieproduktion steht der Gotthard als Transitraum von Energie im Vordergrund. Das Höchstspannungsnetz am Gotthard ist aufgrund seiner strategischen Lage ein wichtiges Rückgrat des europäischen Stromhandels. Über den Verbund der europäischen Stromnetze wird ein wesentlicher Beitrag zur Versorgungssicherheit geleistet. Mit dem Transport und der Vernetzung von Energie ist gleichzeitig die Frage der Abhängigkeit der am Verbund beteiligten Staaten von diesem Stromnetzwerk verbunden. Die zum Teil sehr langen Transportwege im Energieverbund werfen auch Fragen bezüglich der Effizienz und des sorgfälti- gen Umgangs mit Energieressourcen auf.

Letztendlich ist der Gotthard auch Lagerort von Energie. Mittels der Stauseen der Speicherkraft- werke kann die Energie gelagert werden, bevor sie dann bei Bedarf in Elektrizität umgewandelt wird. Doch nicht nur Wasser sondern auch Brennstoffe wurden in beachtlichten Mengen im Gotthardraum gelagert. Heute sind die meisten unterirdischen Brennstofflager stillgelegt. Als Teil des Mythos Gotthard wirken sie jedoch immer noch nach.

15 Kernbotschaften

Die Kernbotschaften des Themenbereichs «Energie» ergeben sich aus dem dargelegten Kontext:

1.    Was ist Energie? Der Gotthard als ein Ursprungsort von Energie rückt diesen nur scheinbar trivialen Fragen in den Vorder- grund. Der Zugang und die Verfügbarkeit von Energie ist für die heutige Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit: Den Lichtschalter betätigen, den Motor im Auto starten, ein geheiztes Haus im Winter betreten. Energie ist stets verfügbar. So wie Wasser aus dem Wasserhahn fliesst, kommt der Strom aus der Steckdose. Hinter dieser Steckdose verbirgt sich aber ein hoch vernetztes und komplexes System. Dabei bildet nicht nur die technische Infrastruktur einen Kreislauf von enormen Dimensionen. Die verschiedenen Aggregats- zustände von Energie und ihre unterschiedlichen Formen bilden ein eigenes geschlossenes System. Energie kann von einer Form in eine andere umgewandelt werden; jedoch kann sie im System nicht vernichtet oder vermehrt werden. Die Summe der verfügbaren Energie in diesem System bleibt deshalb immer konstant. Energie wird somit im Grunde genommen auch nicht produziert, sondern transformiert: z.B. von der kinetischen Energie des Stausees in Elektrizität. Was ist also Energie? Energie ist ein geschlos- senes Gesamtsystem. Diese Aussage hat für den Umgang mit Energie wichtige Implika- tionen, die SASSO SAN GOTTARDO ins Bewusstsein rücken will.

2.    In unserem Alltag nehmen wir Energie zuerst einmal in Form von Strom, Licht und Brenn- stoffen (Benzin, Öl, Gas etc.) wahr. Dabei ist der Variantenreichtum von Energieformensowie von Speichermedien wesentlich grö- sser. Soll Energie als Gesamtsystem verstan- den werden, so müssen auch die weniger bekannten Formen ins Bewusstsein gerückt werden. Dabei gilt es, Energieform und Spei- chermedium zu unterscheiden, auch wenn sie sich gegenseitig bedingen. Jede Energie- form weist charakteristische Eigenschaften auf, die sie für bestimmte Funktionen geeig- net machen. Aufgrund dieser Eigenschaften und Funktionen existiert zu jeder Energieform ein optimales Speichermedium. Energie als Gesamtsystem verstehen heisst somit auch, sie in Bezug auf Ihre Anwendung und Speicherung optimieren zu können.

3. Die Frage der Nutzung von Energie betrifft jedoch nicht nur ihre Formen. Da der Energie bedarf immer zeit- und ortsabhängig ist, stellt sich auch die Frage nach dem Wann und Wo. Die Produktion von Energie ist aber auch immer gleichbedeutend mit dem Ver- brauch von Energie, denn zuviel produzierte Energie lässt sich oftmals gar nicht oder nur unter grossem Aufwand lagern. Die Produktion und der Transport von Energie bilden deshalb ein eigenes System, das wiederum mit der Frage nach der Energieform und den Speichermedien eng verknüpft ist. Über komplexe Netzwerke werden heute Ver- brauch und Produktion aufeinander abgestimmt, um die Nachfrage stets optimal decken zu können und eine ausreichende Versorgungssicherheit garantieren zu können. Die vorhandenen Versorgungsnetzwerke bie- ten aber keine totale Sicherheit. Sie bringen technische Risiken mit sich und verursachen Abhängigkeiten. Die vitale Bedeutung der Energieversorgung wirft deshalb auch die Frage auf, wem die Verantwortung für den Bau und den Betrieb dieser Versorgungs- netzwerke übertragen werden soll.

16 Erkenntniswert

Der Besucher erlebt Energie nicht nur in ihren Erscheinungs- und Anwendungsformen sondern systemisch. Dadurch werden Zusammenhänge und Abhängigkeiten fast von selbst erkennbar, wodurch die enorme Komplexität des Themas deutlich reduziert werden kann. Die Vielschich- tigkeit der Thematik «Energie» erfahrbar zu machen aber auch innere Zusammenhänge des Systems «Energie» sichtbar zu machen, sind wesentliche Anliegen von SASSO SAN GOTTAR- DO.

Dadurch, dass dem Besucher Energie sowie ihre Produktion und Nutzung als System entgegen- tritt, kann er seine fragmentierte Wahrnehmung überwinden und einen gesamtheitlichen und differenzierteren Zugang zur Thematik finden. Der Themenbereich verzichtet bewusst darauf, die Fragestellungen des Besuchers zu präjudizieren. Dagegen wird im Erkennen des Systems ein Wert an sich gesehen, der den individuellen Zugang zum Thema und schliesslich auch den Umgang mit Energie beeinflussen wird.

17 Verknüpfungen

Energie und Wasser

Wasser ist ein wesentlicher Rohstoff für die Produktion von Energie. In der Schweiz werden aufgrund ausreichender Wasservorkommen sowie günstigen topographischen Vorausset- zungen über 60 % des Stroms aus Wasserkraft hergestellt. Sie gilt als eine der ökologischsten und nachhaltigsten Energieformen überhaupt.

In der Schweiz ist das Potential an Wasserkraft jedoch weitgehend ausgeschöpft. Steigt der Energiebedarf pro Kopf weiter an, müssen für die Energieversorgung zusätzliche Produktions- anlagen gebaut werden. Wie mit dieser Frage umgegangen wird, steht dabei im Vordergrund.

Energie und Klima/Wetter

Mit der Verbrennung fossiler Energieträger und dem damit verbundenen erhöhten CO2-Ausstoss wird der natürliche Treibhauseffekt verstärkt. Veränderungen des Erdklimas sind Folgeerschei- nungen. Experten prophezeien eine deutliche Erwärmung der Atmosphäre und eine Häufung von extremen Wetterereignissen wie Überflu- tungen, Stürme und Dürren. Das Abschmelzen der Gletscher im Alpenraum ist ein Indiz dafür, dass die Klimaveränderung bereits in vollem Gange ist.

Mit einer engagierten Energiepolitik kann ein wesentlicher Beitrag geleistet werden, die Klima- veränderung einzudämmen. Internationale Ab- kommen, die den Ausstoss von Treibhausgasen regulieren, sind zwingend erforderlich. Foschung und Wissenschaft leisten ihren Beitrag, energieeffiziente Techniken und Anwendungen zu entwickeln und im Bereich der erneuerbaren Energien neue Erkenntnisse zu gewinnen. Politik und Wirtschaft tragen die Verantwortung, die Leistungen von Forschung und Wissenschaft zu fördern und einzusetzen sowie durch geeignete Massnahmen den Energieverbrauch einzudäm- men.

Energie und Sicherheit

Das Thema Sicherheit ist ein wesentlicher Aspekt der Energieversorgung. Eine ausreichende und konstante Energieversorgung ist eine unerlässli- che Voraussetzung für eine erfolgreiche Volks- wirtschaft. Versorgungssicherheit garantieren zu können, bedarf einer genauen Beurteilung und Entwicklung des Elektrizitätsmarkts. Der Zusammenschluss transnationaler Netze in Europa ab 1958 und ein breiter Energiemix haben die Versorgungssicherheit erhöht. Voraussetzung für ein funktionierendes Netz ist eine ausreichende Stromversorgung jedes einzelnen Landes, so dass im Notfall nur für kurze Zeit Strom von ausländischen Produzenten bezogen werden muss.

Ein weiterer Aspekt liegt in der Energieproduktion. Jede einzelne Produktionsform birgt eigene Risiken. Bei Wasserkraft ist es die Gefahr eines Dammbruchs, bei Kernkraftwerken das Risiko eines atomaren Unfalls sowie das ungelöste Problem der Lagerung radioaktiver Abfälle. Die Existenz dieser Risiken einerseits sowie der steigende Energiebedarf andererseits ergeben ein Spannungsfeld, das nach einem sorgfältigen Risk-Management verlangt.

Energie und Verkehr

Energie und Verkehr sind durch einen funktionalen Bezug miteinander verknüpft. Jede Form von Mobilität bedingt den Einsatz von Energie, um ein Fortbewegen zu ermöglichen. Der steigende Bedarf an Mobilität bedeutet demnach auch einen erhöhten Energieverbrauch.

> THEMA WETTER UND KLIMA

Die Wetterküche und ihre Zutaten

18 Anknüpfungspunkte

Das subtropisch-mediterrane Klima des Südens und das feucht-atlantische Klima des Nordens prallen am Gotthard aufeinander. Auf engstem Raum werden hier aufgrund der besonderen Topographie zentrale Wetterphänomene offenkundig. Der Gotthard als imposantes Bergmassiv wirkt als Trennwand zwischen den südlichen und nördlichen Wetterbedingungen. Wolken- verhangen, regnerisch und kühl im Norden ändert sich das Wetter schlagartig nach dem Gott- hard und zeigt sich oftmals von seiner Sonnenseite. Doch auch die umgekehrte Situation – sintflutartige Regenfälle im Tessin und freundli- cher Sonnenschein im Norden – ist keine Selten- heit. Das Wetter ist auf dem Gotthard stets präsent. An vorderster Front kann hier erlebt wer- den, wie das Wetter innerhalb kürzester Zeit von strahlendem Sonnenschein zu wolkenverhange- ner Stimmung, Regen- oder Schneefall um- schlägt. Die Wetterdynamik im Gelände zu beo- bachten und aus Phänomenen Rückschlüsse auf die Wetterentwicklung zu machen, ist ein weite- rer Schwerpunkt von SASSO SAN GOTTARDO.

Doch nicht nur das Wetter mit allen seinen Erscheinungsformen ist im Raum Gotthard unmit- telbar zu erlebt. Ebenso sind grossräumige Klimaphänomene und deren Veränderungen in einem sensitiven Raum wie der der Alpen be- sonders deutlich auszumachen. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts haben sich die Gebirgsglet- scher in rasantem Tempo zurückgezogen. Bis in die 1970er Jahre haben die Alpengletscher ungefähr ein Drittel ihrer Fläche und die Hälfte ihrer Masse eingebüsst. Ob sich der Rückzug der Gletscher fortsetzt, wird wesentlich von der weiteren Klimaerwärmung abhängen. Dies sind offensichtliche und für alle sichtbare Zeichen der Klimaveränderung. Das Auftauen des Perma- frosts, das gerade im Raum Gotthard zu einer gefährlichen Instabilität des Geländes führt, ist dagegen eine der vielen Auswirkungen der Erd- erwärmung, die sich erst allmählich bemerkbar machen. Global führt sie schon heute zu einer merklichen Zunahme von Naturkatastrophen, wodurch Lebensräume und ökonomische Grundlagen zerstört werden. Regional bedrohen ihre Auswirkungen nicht nur die Einwohner des Raumes Gotthard, sondern auch die für den Tourismus überlebenswichtigen Ressourcen.

19 Kernbotschaften

Ob die laufenden Klimaveränderungen auf menschliche Einflüsse zurückzuführen sind, kann letztlich nicht einwandfrei bewiesen werden. Sie sind deshalb auch Gegenstand von heftigen, meist politischen Auseinandersetzungen. SASSO SAN GOTTARDO will die Tatsache der Klimaveränderung und ihre möglichen Ursachen weder bestreiten noch als gesicherte Wahrheit darstellen. Vielmehr wird das Verhalten von Medien, Politik und der Gesellschaft insgesamt gegen- über den Klima- und Wetterphänomene als exemplarischer Umgang mit globalen und lang- fristig angelegten Themen verstanden Daraus ergeben sich folgende Kernbotschaften:

1. Von der Existenzbedrohung zur Alltäglichkeit: Unsere Gesellschaft war über Jahrhunderte in existentieller Weise vom Wetter abhängig. Wetter wurde immer als ein lokales Ereignis empfunden, dessen Auswirkungen als ein prägendes individuelles Erlebnis – sei es im Positiven oder im Negativen. Klima im Sinne von langfristigen und grossräumigen Wetter- erscheinungen war kein Thema. Mit dem technischen Fortschritt im Gefolge der Industrialisierung gelang es, den Alltag weitge- hend von den Wettereinflüssen zu emanzipieren. Sie beschränken sich heute auf einge- schränkte Bereiche wie die Landwirtschaft oder den Tourismus. Unser Alltag wird durch das Wetter zwar beeinflusst, aber nicht mehr geprägt. Unwetterkatastrophen werden von uns heute als Ausnahmeerscheinungen emp- funden. Gegen ihre Folgen haben wir eine aufwendige Infrastruktur errichtet. Sollten dennoch Schäden auftreten, so sind wir ge- gen diese weitgehend versichert. Tote und Verletzte sind gegenüber früher die Ausnah- me. Das Wetter ist heute ein Faktor unter vie- len. Seinen existentiellen Charakter hat es dagegen verloren. Diese Entwicklung machte uns gegenüber den Wetterphänomenen wenn auch nicht indifferent, so doch unemp- findlicher, was auch unser Verhalten im Alltag verändert hat.

2. Die ausstehende Antwort auf die Klimafrage: Seit einigen Jahrzehnten verdichtet sich die These, dass die Zivilisation (insbesondere der Industriegesellschaft) Klimaveränderungen verursacht, zur Gewissheit. Wir gewinnen den Eindruck, dass Unwetterereignisse immer häufiger vorkommen und immer gravierendere Auswirkungen haben. Obwohl der Beweis für einen kausalen Zusammenhang dieser steigenden Tendenz von Unwetterkatastrophen mit den durch die Zivilisation verursachten Emissionen (noch) aussteht, kann anhand verschiedener Indikatoren belegt werden, dass sich das globale Klima rascher verändert als in den vorangehenden Jahr- hunderten. Das Wetter wird zunehmend als Folge des globalen Klimas wahrgenommen. Verschiedene theoretische Modelle bestäti- gen uns, dass sich das Wetter weltweit verändert. Das Klimaveränderungen und die zu erwartenden negativen Einflüsse auf die lokale Wetterlage werden immer mehr als Bedrohung empfunden. Dennoch steht eine ad- äquate Antwort unserer Gesellschaft aus. Die Gründe dafür sind vielseitig.

3. Die steigende Bedeutung von Klimafragen hat zu einem veränderten Umgang mit die- sem Thema geführt. Es besteht ein nachweislich gewachsenes Interesse an den Ergebnissen der Klimaforschung. Auch wenn diese nur sehr partiell und zum Teil auch verfälscht ins Bewusstsein der Allgemeinheit eindringen, so hat das Thema «Wetter und Klima» wieder an Bedeutung gewonnen. Die Auseinandersetzung mit der Klimaveränderung und ihren Ursachen ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen geworden. Echtes und vermeintliches Wissen werden dabei oft- mals vermischt. Dadurch entsteht eine Eigen- dynamik, die ein von Wissenschaft und Forschung kaum mehr beeinflussbares «Kollektivwissen» hervorbringt.

20 Erkenntniswert

Zum einen soll dem Besucher die Möglichkeit gegeben werden, Wetterphänomene unmittelbar zu erleben und ihre Entstehung zu verstehen. Diese Erfahrungen erleichtern ihm den Zugang zu Klimafragen. Diese treten uns heut meist in abstrakter Form entgegen, wobei wir von den Informationen der Medien abhängig sind. Diese erschweren uns gerade wegen der Flut an Informationen, die auch nicht immer einer sachlichen Überprüfung standhalten, unsere Meinungsbildung, was zur Verunsicherung und – als vermeintlicher Ausweg – zu irrationalen Glaubenssätzen führt. SASSO SAN GOTTAR- DO möchte dem Besuchern die Möglichkeit geben, sich anhand einer möglichst objektiven und leicht verständlichen Darstellung über Wet- ter- und Klimaphänomene zu informieren, so dass er seine Wertungen und Positionen aufgrund eigener Reflexionen anpassen, verwerfen oder bestätigen kann

Anhand des Umgangs mit diesem Thema wird erkennbar, wie unsere Gesellschaft mit echtem und vermeintlichem Wissen ganz allgemein um- gehen und wie es unser tägliches Verhalten, unsere Lebensqualität und unsere Denkweise verändert oder eben nicht.

21 Verknüpfungen

Zu Verkehr

Gerade der alpenquerende Strassenverkehr prduziert erhebliche Emissionen, die vor Ort zu Umweltbeeinträchtigungen führen. Sie stehen stellvertretend für den Konflikt zwischen dem Bedürfnis nach Mobilität und dem Postulat des Klimaschutzes durch Emissionsbegrenzung. Die Neue Alpentransversale soll ein Baustein sein, um diesen Konflikt entschärfen zu helfen. Gleichzeitig ist die weiterhin vorhandene Anfälligkeit unserer Gesellschaft gegenüber Wetter- phänomenen und ihren Folgen gerade auf den exponierten Verkehrswegen des Gotthards im- mer wieder zu erleben.

Zu Wasser und Energie

Das Wetter ist der wichtigste Motor der globalen Wasserverschiebungen. Ob und wieviel Wasser in Form von Niederschlägen unsere natürlichen und künstlichen Wasserreservoire füllt, hängt vom Wetter ab. Das Wetter wird dadurch zum wichtigsten „Partner“ der Energiewirtschaft. Längere Dürreperioden, wie die des Sommers 2003, können die Versorgung unter Umständen beeinträchtigen, was zur Kompensation durch andere Energiequellen zwingen würde.

Zu Sicherheit

Die Auswirkungen von Wetterphänomenen machen unseren Lebensraum sicherer oder eben weniger sicher. Hochwasser und Erdrutsche, Lawinen und Stürme können uns existentiell bedrohen. Durch Unwetterkatastrophen erleben wir Wetter in seiner unmittelbarsten und brutal- sten Form. Mit baulichen Massnahmen und Raumplanung handeln wir reaktiv, bekämpfen wir die Symptome. Erst kaum mehr erträgliche die Häufung von Unwetterkatastrophen lässt den Gedanken eines proaktiven Vorgehens im Sinne einer Ursachenerforschung aufkommen.

Führen globale Klimaveränderungen zur gross- flächigen Zerstörung von menschlichen Lebens- räumen, so entstehen unweigerlich Sicherheitsprobleme von weltweitem Ausmass. Zum einen ist mit kaum mehr kontrollierbaren Migrationsströmen zu rechnen und zum andern dürften erhebliche Versorgungsprobleme auftauchen. Ein so sensitives System wie das der hochtechni- sierten und global verknüpften Gesellschaft der Industrieländer würde sich in diesem vor gewal- tige Aufgaben gestellt sehen, wobei die Aufrechterhaltung der Sicherheit nur ein Problem darstellen würde.

> THEMA SICHERHEIT

Ein Grundbedürfnis in alten und neuen Häusern

22 Anknüpfungspunkte

Der Themen- und Forschungspark SASSO SAN GOTTARDO benutzt als «Hülle» ein Artillerie- werk aus dem 2. Weltkrieg: «Sasso da Pigna». Als eine der eindrücklichsten Festungsanlage der Schweiz ist sie ein Paradigma des zur Architektur gewordenen Strebens nach Sicherheit und gleichzeitig Ausdruck einer Sicherheitsarchitektur. Sie ist jedoch auch ein Symbol für die emo- tionale Bedeutung dieser Sicherheitsarchitektur, vermittelte sie doch während Jahrzehnten für weite Teile der Bevölkerung das Gefühl von Si- cherheit, auch wenn der rationale Beweis für ihre Tauglichkeit nie erbracht werden konnte.

Im Vermitteln von Sicherheit liegt ein Wert an sich, denn Sicherheit bedeutet Lebensqualität. Dieser Aspekt wirft die Frage auf, was Sicherheit schliesslich ausmacht. Somit verkörpert «Sasso da Pigna» zweierlei: Die abstrakte Vorstellung von Sicherheit und der konkrete Versuch, Si- cherheit zu gewährleisten. Beide Aspekte geben Wertungen und Risikoanalysen aus den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts wieder. Diese historische Distanz erlaubt uns, sie mit unseren heutigen Vorstellungen von Sicherheit zu vergleichen, Veränderungen festzustellen und da- durch unseren heutigen Vorstellungen von Sicherheit bewusst zu werden. Der Raum, in dem der Themenbereich «Sicherheit» inszeniert wird, wird zu einem idealen Umfeld, um über unser heutiges Verhältnis zu Sicherheit sowie über den Umgang mit unseren Sicherheitsbedürfnissen nachzudenken. Somit stehen zwei Aspekte im Vordergrund: Das individuelle Sicherheitsgefühl und der kollektive Umgang mit Sicherheitsbe- dürfnissen.

23 Kernbotschaften

Im Themenbereich «Sicherheit » stehen folgende Kernbotschaften im Zentrum:

1. Sicherheit als Variable: Einerseits verändern sich die Vorstellungen von dem, was Sicher- heit ausmacht, und andererseits treten immer wieder neue Gefahren auf. Das Artilleriewerk «Sasso da Pigna» ist ein Symbol für den unstetigen Charakter von Sicherheit. Wie viele andere zu militärischen Zweck gebauten Anlagen im Gotthard ist sie heute eine verlasse- ne Festung. Obwohl die vorhandene Infrastruktur in einwandfreiem Zustand ist, genügt sie den heutigen Bedürfnissen und Anforderungen nicht mehr.

Dies ist nicht erstaunlich, denn sie ist die Antwort einer früheren Generation auf eine konkrete Gefährdung an einem begrenzten Ort zu einer bestimmten Zeit. Diese Aussage ist verallgemeinerungsfähig. Sicherheitsmassnahmen sind grundsätzlich an bestimmte Rahmenbedingungen gebunden, die sich in zeitlicher und örtlicher Hinsicht rasch verän- dern. Deshalb müssen auf der einen Seite Sicherheitskonzepte fortlaufend auf ihre Konsi- stenz hinsichtlich aktueller Gefahren und Risiken sowie den tatsächlichen Bedürfnissen der Bevölkerung überprüft werden. Auf der anderen Seite erscheint es kaum möglich, wirkungsvolle Sicherheitskonzepte für die Ewigkeit zu entwickeln. Und schon gar nicht darf vom Erfolg früherer Konzeption auf ihre Tauglichkeit in der heutigen Zeit geschlossen werden. Dies gilt für das einfache Haustürschloss ebenso wie für die Neutralität als Teil der Sicherheitspolitik.

1.    Vom kollektiven zum individuellen Sicherheitskonzept: Individuelle Sicherheitsbedürfnisse stehen heute im Vordergrund, während die kollektive Sicherheit immer weniger thematisiert wird. Dass das Individuelle im Ver- laufe der letzten drei Jahrhunderte stets an Bedeutung gewann, ist eine allgemeine ge- sellschaftliche Tendenz, die sich nicht nur auf das Thema Sicherheit beschränkt. Gerade hier tritt sie jedoch besonders deutlich hervor. So fällt auf, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts der überwiegende Teil staatlicher Sicherheitsmassnahmen dem Schutz des Kollektivs galt, so bei der Landesverteidigung oder dem Schutz gegen Bedrohungen aus der Umwelt. Am Ende des Jahrhunderts werden die für Sicherheitsaspekte zur Verfügung stehenden Mittel mehrheitlich zugunsten der sozialen Sicherheit des Individuums eingesetzt, so bei der Gesundheitsversorgung oder bei den grossen Sozialwerken. Diese Tendenz dürfte sich in der nächsten Zeit eher noch verstärken.

2.    Von der Sicherheitsarchitektur zur Sicher- heitsorganisation: Es fällt auf, dass der über- wiegende Teil der Sicherheitsmassnahmen bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts im Errich- ten einer schützenden Infrastruktur bestand, wofür die Festung ein Sinnbild ist. Auch heute sind noch Infrastrukturelemente bedeutende Bestandteile der schweizerischen Sicherheitsarchitektur. Neben sie traten jedoch gleichberechtigt Sicherungsmassnahmen in- stitutioneller Natur. Zu ihnen zählen bspw. die grossen supranationalen Organisationen (UNO, OSZE etc.) oder das dichte Netz von Versicherungen. Diese Entwicklung ist gleich- zeitig ein Spiegelbild der Bedrohungs- und Risikolage. Traten existentielle Bedrohungen über lange Zeit regelmässig lokal und meistens voraussehbar auf, so handelt es sich heute immer mehr um globale Phänomene, über die nur ein diffuses Bild besteht. In dieser Situation scheinen regionale und internationale Institutionen notwendige Ergänzungen zur Sicherheitsinfrastruktur zu sein.

24 Erkenntniswert

Sicherheit ist ein zentrales Lebensbedürfnis. So erstaunt es nicht, dass wir einen beachtlichen Anteil unserer Ressourcen in die Sicherheitsinve- stieren. Doch um welche Sicherheit handelt es sich? Trotz des enormen Aufwands, den wir für unsere eigene Sicherheit betreiben, legen wir uns nur selten Rechenschaft über unser Veständnis von Sicherheit ab. Der Themenbereich «Sicherheit» möchte dem Besucher die Möglichkeit geben, zum einen über seine Vorstellung von Sicherheit, seine eigenen Sicherheitsbedürfnisse sowie seinen Umgang damit nachzudenken. Zum andern sollen historische und moderne Sicherheitskonzepte neben einander gestellt werden, wodurch ein Zugang zur Bedeutung von Sicherheit in unserer heutigen Gesellschaft geschaffen werden soll.

Dem Grundkonzept von SASSO SAN GOTTARDO folgend kann es nicht darum gehen, eine be- stimmte Vorstellung von Sicherheit als allge- meingültig zu propagieren. In der Auseinander- setzung mit der Thematik und dem Bewusstwerden über den Stellenwert der Sicherheit im eigenen Leben wird ein Wert an sich gesehen. Welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, entscheidet der Besucher selbst.

25 Verknüpfungen

Das Thema «Sicherheit» ist in allen Bereichen von SASSO SAN GOTTARDO präsent. Der The- menbereich «Sicherheit» versteht sich als Bünde- lung dieser einzelnen Aspekte. Folgende stehen im Vordergrund:

Zum Themenbereich «Verkehr»

Der Gotthard wäre kaum zur Zitadelle der Alpen geworden, wenn durch seinen Raum nicht die wichtigste Nord-Süd-Alpentransversale verlaufen würde. Erst die Verkehrsachse schuf das militäri- sche Sicherheitsbedürfnis, weshalb der Ausbau der Verkehrsträger mit der Entstehung der Gott- hardfestung Hand in Hand gehen. Auf exemplarische Weise wird hier sichtbar, dass es nicht der Raum an sich ist, der ein Sicherheitsbedürfnis auslöst, sondern seine Funktion, die wir ihm geben. Ändert die Funktion, so ändert auch das Sicherheitsbedürfnis. Deshalb bedeutet die Auf- gabe der Gotthardfestung auch nicht automatisch ein Verlust an Sicherheit.

Zum Themenbereich «Wasser»

Wasser steht für eine der wertvollsten Ressourcen. Obwohl uns Wasser in der Schweiz in fast unbegrenztem Masse zur Verfügung steht, ist es aus globaler Sicht ein knappes Gut. Somit spielt der Zugang zu Wasser bereits heute eine strategische Rolle. Wasser wird dadurch auch immer häufiger zum Konfliktgrund, wie dies im Nahen Osten bereits schon heute der Fall ist. Die Vertei- lung von Wasservorkommen wird deshalb zu- nehmend die globale Sicherheitslage beeinflussen.

Zum Themenbereich «Energie»

In der Schweiz werden 60% des Energiebedarfs durch Wasserkraft gedeckt. Unseren Wasserbe- darf (Haushalte, Industrie etc.) können wir zu 100% aus eigenen Quellen decken. Dadurch verfügen wir über ein hohes Mass an Versor- gungsautonomie. Auch die Festung «Sasso da Pigna» verfügt dank eigenen, unterirdischen und dadurch geschützten Quellen über eine vollstän- dige Autonomie in Bezug auf die Wasserversorgung. Versorgungsautonomie war über lange Zeit ein wesentlicher Sicherheitsfaktor. Heute scheint er in den Hintergrund zu treten. Dieser Wandel gibt Anlass, über die Veränderungen unserer Sicherheitsvorstellungen sowie ihrer Rahmenbedingungen nachzudenken.

Zum Themenbereich «Wetter und Klima»

Immer wieder verwüsten Unwetter unser Land. Sicherheit vor Naturkatastrophen scheint nur sehr begrenzt erreichbar zu sein. Die Gotthardachse ist ein bemerkenswertes Zeugnis für das Streben nach Sicherheit vor der Natur durch technische Massnahmen.

Gerade der immense Aufwand und die schliesslich immer wieder vor Augen geführte Unzu- länglichkeit der getroffenen Massnahmen werfen die Frage auf, ob die Symptombekämpfung der richtige Weg ist. Globale Klimaänderungen haben zu einer Häufung von Naturkatastrophen geführt, wie sie die Menschheit kaum jemals erlebt hat. Die Klimaforschung prophezeit uns apokalyptische Ereignisse, wenn die Klimaverän- derungen im gleichen Masse fortschreiten. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage der kollektiven Sicherheit erneut.

> GESCHICHTE

Die verlassene Zitadelle der Alpen – Flugbahnen aus der Geschichte

26 Ausgangspunkte

Im Jahre 1999 hat das Departement für Verkehr, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) im Rahmen der Liquidationsplanung der Festungen beschlossen, wesentliche Teile des Artilleriewerks «Sasso da Pigna» auch nach seiner Stilllegung als Denkmal für die Nachwelt zu erhalten. Zu diesem Zweck hat es die Anlage zusammen mit weiteren sieben Artilleriewerken ins Inventar der mili- tärischen Denkmäler aufgenommen.

Der Bereich «Geschichte» mit seinen denkmalpflegerischen Zielen ist eine wichtige Ergänzung zu den anderen Themenbereichen Wasser, Verkehr, Klima/Wetter, Sicherheit und Energie. Die historische Bausubstanz der Festungsanlage als Ausstellungshülle ist selbst Teil des Mythos Gott- hards und ist eng mit den übrigen Themen ver- knüpft.

27 Kernbotschaften

Im Themenbereich «Geschichte» soll der Besu- cher zuerst einmal einen Eindruck vom ursprüng- lichen Zustand und Verwendungszweck der Anlage erhalten. Dies ist der denkmalpflegeri- sche Aspekt des Themenbereichs «Geschichte». Darüber hinaus bieten die historischen Räum- lichkeiten jedoch auch die Möglichkeit zu einer Reflexion über Fragen, die auch mit den anderen fünf Themenbereichen verbunden sind. Daraus ergeben sich folgende Kernbotschaften:

1. Die Festung als Symbol: Das Artilleriewerk «Sasso da Pigna» wurde wie das gesamte Réduit ab 1940 geplant und ab 1941 ver- wirklicht, also zu einer Zeit, als die Schweiz von den Achsenmächten bereits eingeschlossen war. Ihre Autarkie war nicht eine selbst- gewählte, sondern eine durch den Krieg von aussen aufgezwungene Überlebensstrategie.

Die grossen Artilleriewerke im Gotthard sind ebenfalls als autarke Anlagen mit einer be- eindruckenden Versorgungsautonomie von mehreren Monaten konzipiert. Auch diese ebenso kosten- wie personalintensive Unabhängigkeit der Anlagen von externer Versorgung war nicht das Ergebnis einer freien Auswahl aus mehreren Möglichkeiten, sondern angesichts der hochalpinen Lage und des Bedrohungsbildes einzig mögliche Lösung. Unabhängigkeit wurde zum erklärten Inbegriff des schweizerischen Selbstverteidigungswillens, die Alpenfestung sein Symbol. Die Anlage «Sasso da Pigna» ist somit in manchem ein Ebenbild des schweizerischen Selbstverständnisses, wie es während des zweiten Weltkrieges und noch einige Jahrzehnte danach vorherrschte. Der Drang nach Unabhängigkeit wird zum bestimmenden Faktor dieses Selbstverständnisses: Die Schweiz als Festung in Europa. Dass die Fe- stungswerke schon bald zum Symbol des schweizerischen Selbstbestimmungswillens werden, erstaunt deshalb nicht. Wie nahe die Festungsarchitektur beim historischen Selbstverständnis liegt, ist im Bereich «Geschichte» nachvollziehbar, zumal dieser alle diejenigen Anlageteile umfasst, die gerade für das Autonomiekonzept des Artilleriewerkes kennzeichnend sind: Grundversorgung (Luft, Was- ser, Energie, Verpflegung), Unterkunft und Bewaffnung. Die Sicherheit, welche die An- lage ihrer Besatzung bot, strahlte dank ihres Symbolgehalts auf die ganze Schweiz aus.

2. Sicherheitsgefühl als „Kampfwert“: Dieser Gedanke führt zur nächsten Botschaft des Themenbereichs. Die Alpenfestung hatte nicht nur eine hohe militärische Bedeutung, sondern auch als Vermittlerin eines kollektiven Sicherheitsgefühls einen immensen emotionalen Wert. Das Réduit und die durch seine Befestigungsanlagen geschützten Alpenübergänge stellten das Pfand gegenüber den militärisch überlegenen Achsenmächten dar. Obwohl das Réduit der Bevölkerung im Mittelland keinen Schutz vor einem möglichen Angreifer zu bieten vermochte, galt es als Garant für die Unangreifbarkeit und damit auch für die Sicherheit der Schweiz. Dieses tiefverwurzelte Vertrauen in die dissuasive Wirkung des Réduits und insbesondere der Gotthardfestung blieb bis zum Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch der Sowjetunion unerschüttert. Dadurch vermit- telte das Réduit mit seinen Festungsanlagen während fast eines halben Jahrhunderts das Gefühl von kollektiver Sicherheit, welches für den Einzelnen zum Bestandteil seiner indivi- duellen Lebensqualität werden konnte. Post festum dürfte diese historische Leistung der bedeutendste Beitrag des Réduits zum Wohlergehen des Landes gewesen sein.

3. «Sasso da Pigna» als Burg 20. Jahrhunderts: Das Stichwort der kollektiven Sicherheit führt zur dritten Botschaft des Themenbereichs. Sie symbolisiert ein zu Architektur gewordenes Sicherheitsmodell, das über Jahrhunderte Gültigkeit hatte. In seinem Zentrum stand die Bedrohung des Kleinstaates durch regelmässig übermächtige ausländische Armeen. Das Schwergewicht der staatlichen Sicherheits- massnahmen lag deshalb im Aufbau einer Verteidigungsinfrastruktur. Die Burg ist Symbol dieses Sicherheitsdenkens. Dieses hat sich zwischen der Inbetriebnahme (1944) und der Stillegung (1999) grundlegend verändert. Eine staatliche Macht, welche die Schweiz bedrohen würde, ist weit und breit nicht in Sicht, und gegen die neuen Bedrohungsformen (Terrorismus etc.) bleibt eine noch so umfangreiche Verteidigungsinfrastruktur wirkungslos. Wer die auf den Passo San Giacomo gerichteten Kanonrohre der Westbatterie von «Sasso da Pigna» gesehen hat, erkennt intuitiv, dass diese Festung für eine Bedrohungslage gebaut wurde, die es heute so nicht mehr gibt. So, wie der einst als «Messer im Herz des Gotthards» (Oberst Pfyffer, 1882) empfundene Pass zwischen dem Po- matt und dem Bedrettotal inzwischen in die Bedeutungslosigkeit abgesunken ist, stellt das Artilleriewerk eine Kampfkraft zur Verfü- gung, für die es heute keinen Bedarf mehr gibt. Es wird dadurch zu einem Sinnbild für die Zeitgebundenheit von Bedrohungslagen und für die Vergänglichkeit von Sicherheitsmodellen. «Sasso da Pigna» ist die verlassene «Zitadelle der Alpen»: Symbol einer eindrücklichen historischen Leistung und gleichzeitig Mahnmal, welches uns auffordert, nicht stehen zu bleiben.

4. «Sasso da Pigna» als Zeuge eines Gesell- schaftsmodells: Parallel zur Bedrohungslage veränderte sich auch das Schwergewicht der staatlichen Investitionen zugunsten von Si- cherheit. Während sie lange Zeit fast aus- schliesslich dem Schutz der gesamten Bevöl- kerung zugute kam, steht heute die Sicher- heit des Einzelnen im Vordergrund. So scheint es nur konsequent zu sein, dass die für Sicherheitsaspekte zur Verfügung stehen- den Mittel heute mehrheitlich zugunsten der sozialen Sicherheit des Individuums (z.B. Gesundheits- und Altersvorsorge) eingesetzt werden. Diese Verschiebung findet ihre Parallele in einem seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu beobachtenden Mentalitätswandel, der zunehmend das Individuelle be- tont, während das Kollektiv stets an Bedeutung verlor. Das Artilleriewerk «Sasso da Pigna» und seine Besatzung stellt aus heutiger Sicht ein für die Schweiz des Zweiten Weltkriegs modellartiges Kollektiv dar: Vereint durch eine gemeinsame Aufgabe und von der Aussenwelt weitgehend isoliert, ging das Individuum weitgehend im Kollektiv des Verbandes auf. Nicht die Hierarchie bildete das prägende Strukturelement, sondern die Funktion des Einzelnen, was sich auch in der In- nenarchitektur der Unterkünfte niederschlug. Der Stolz, dazu zu gehören, sorgte für einen Korpsgeist, der seinesgleichen suchte. Die zentripetalen Kräfte der kollektiven Bedro- hung und der gemeinsamen Aufgabe kontra- stieren scharf mit den zentrifugalen Kräften der individualisierten Gesellschaft von heute. Es kann im Rahmen des Themenparks nicht darum gehen, die verschiedenen Gesellschaftsmodelle zu bewerten. Jedoch können die unterschiedlichen Rahmenbedingungen einer Gesellschaft und ihre Auswirkungen auf das jeweils geltende Modell anhand eines konkreten Beispiels erkannt werden.

28 Erkenntniswert

Der Besuch der historischen Festungsanlage für ist für den Besucher ein Erlebnis für sich. Die weitgehend aus den vierziger Jahren stammende Originaleinrichtung schafft ein authentisches Klima von hoher atmosphärischer Dichte. Allein schon das Eindringen in eine bis vor wenigen Jahren geheime Welt, zu der nur Wenige Zutritt hatten, weckt instinktiv die Neugier des Besu- chers. Wer darüber hinaus etwas über das schweizerische Selbstverständnis der Kriegs- und Nachkriegszeit erfahren will, findet im Bereich «Geschichte» eine reichhaltige Fülle von An- schauungsmaterial. Zudem stellt die Anlage dank des weitgehend erhalten gebliebenen Ori- ginalzustandes eine Referenzwelt zur Verfügung, die im Vergleich zur Gegenwart ebensoviel über die heutige Gesellschaft auszusagen vermag, wie über die Zeit, in der sie errichtet wurde. Indem der Besucher die historischen Objekte aus der Vergangenheit nicht in einem musealen Umfeld, herausoperiert aus ihrem geschichtlichen Kontext, betrachten muss, sondern auf eine vollständig erhaltene historische Welt trifft, tritt er im wahrsten Sinne des Wortes in die Geschichte ein, wodurch sie für ihn konkret erfahrbar und dadurch auch besser verständlich wird.

Diese Zeitreise erlaubt dem Besucher, zu den Wurzeln derjenigen Werte vorzudringen, die zum Fundament des modernen schweizerischen Selbstverständnisses gehören. Dazu gehören immer noch Werte wie Unabhängigkeit, kultu- relle Selbständigkeit und Autonomie. Sie bilden bis heute tiefverankerte und weitverbreitete Bedürfnisse der schweizerischen Bevölkerung. Ihre Wurzeln sind nicht ausschliesslich, aber auch im Trauma des Zweiten Weltkrieges zu suchen. In der Anlage «Sasso da Pigna» wird aus diesen oftmals diffusen Anknüpfungen in der Vergangenheit ein konkretes Erlebnis, welches präzise einem Ort und auch einer Zeit zugeordnet werden kann. Die räumliche und atmosphärische Konfrontation mit der Geschichte erlaubt zudem, eine analytische Distanz zu den mit ihr verbundenen Wertungen aufzubauen. Mit dem Verlassen der Welt von SASSO SAN GOTTARDO ist der Besucher ruckartig wieder in der Gegenwart. Ein sanftes, verwischendes Gleiten zwischen Drinnen und Draussen, zwischen Vergangenheit und Gegenwart ist nicht möglich. Die durch klare räumliche Trennung geschaffene Distanz zum Heute ist Grundvoraussetzung für eine tiefergehende Reflexion des im Bergesinneren Erlebten.

Dennoch wird der Bereich «Geschichte» jedoch nicht nur als Zeitzeuge der vierziger Jahre ver- standen. In der Festung «Sasso da Pigna» fanden bis 1997 regelmässig Wiederholungskurse statt. Erst anfangs 1999 wurde sie endgültig ausser Dienst gestellt. Dadurch erzählt SASSO SAN GOTTARDO eine Geschichte, die bis an die unmittelbare Gegenwart heran reicht. Mehr noch: Die historische Distanz ist so gering, dass die inzwischen erfolgte Überführung der Alpen- festung ins Reich der Geschichte noch nicht überall ins allgemeine Bewusstsein vorgedrun- gen ist. Dass dies so ist und warum dies so sein muss, kann der Besucher ebenfalls im Bereich «Geschichte» erfahren.

29 Verknüpfungen

Die Festung «Sasso da Pigna» ist nicht nur die bauliche Hülle des Themenparks SASSO SAN GOTTARDO. Sie ist gleichzeitig auch Referenz- wert und Anknüpfungspunkt für viele der in den einzelnen Themenbereichen aufgeworfenen Fragen:

·       Zum Bereich «Sicherheit», in dem der Frage nach den Grundlagen unseres Sicherheitsge- fühls nachgegangen werden soll, ist der An- knüpfungspunkt am offensichtlichsten, stellt doch die Sicherheitsarchitektur der Festung eine konkrete und für ihre Zeit paradigmatische Antwort auf die gestellte Frage dar.

·       In Verbindung mit dem Bereich «Verkehr und Mobilität» wird sichtbar, wodurch Sicher- heitsbedürfnisse und Bedrohungslagen mitbegründet werden können. Erst die Ver- kehrsachse durch den Gotthard mit ihrer für das ganze Land strategischen Bedeutung gab dem Raum das Gewicht, das ihm seit der Eröffnung des ersten Eisenbahntunnels zukommt. Die Gotthardbefestigung ist deshalb nichts anderes als eine logische Folgeerscheinung des Ausbaus der durch den Raum fürenden Verkehrsachsen.

·       Auch zu den Bereichen «Energie» und «Wasser» bestehen zahlreiche Bezüge. Die im Be- reich «Geschichte» gezeigten technischen Einrichtungen stellen ein Modell für eine au- tonome Versorgung unter schwierigen äusse- ren Verhältnissen dar. Durch sie wird auch ersichtlich, dass das historische Autonomieverständnis vor allem die Versorgungsautonomie betraf.

·       Zum Bereich «Wetter und Klima» besteht schon deshalb eine Verknüpfung, weil die Festung «Sasso da Pigna» ein Musterbeispiel für eine gelungene Anpassung der Architektur und Versorgungstechnik an schwierigste klimatische Verhältnisse darstellt. Nur an ganz wenigen Orten der Alpen ist das Leben für fast 500 Mann auf 2'100 Meter ü.M. ganzjährig sichergestellt.

Neben den erwähnten Bezügen zu den fünf Themenbereichen von SASSO SAN GOTTARDO bestehen auch Verknüpfungen zu anderen Kulturobjekten des Gotthardraums. Im Vordergrund stehen die «Sentieri forti», eines Parcours durch eine einhundertjährige Geschichte der Sicher- heitsarchitektur innerhalb eines einzigen, über- schaubaren geographischen Raumes, die von Airolo bis zur Kantonsgrenze nördlich des Passes reichen. Auf diesen «Sentieri forti» kann der wandernde Besucher die Entwicklung des alpi- nen Festungsbaus von seinen Anfängen gegen Ende des 19. Jahrhunderts bis zum späten 20. Jahrhundert anhand von konkreten Bauwerken verfolgen. Bereits sind die Anlagen «Forte Airolo» (1890 – 1955), «Forte Ospizio» (1894 – 1947), «Opera Foppa Grande» (1938 – 1994) und «Opera San Carlo» (1939 – 1994, heute «La Claustra») für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Das Artilleriewerk «Sasso da Pigna» (1944 – 1999) stellt den Schlussstein und das Herzstück dieses im ganzen Alpenbogen einmaligen Ensembles von Festungsbauten dar. Mit der Anknüpfung an die «Sentieri forti» kön- nen bereits bestehende Installationen und Museumsanlagen im Einzugsgebiet von SASSO SAN GOTTARDO integriert werden, wodurch eine effiziente Vernetzung des Angebotes ermöglicht wird.